Heimleiterin Astrid Thiele-Jerome berichtete dem Bundespräsidenten von ihren Erfahrungen aus der Corona-Krise – und kehrt ermutigt zurück
Ohne die Journalisten und Kameraleute hinter ihrem Rücken wäre es Astrid Thiele-Jérome am Dienstagmittag fast so vorgekommen, als hätte sie beim Bundespräsidenten privat im Wohnzimmer gesessen: „Die Atmosphäre des Gespräches war wirklich offen und herzlich. Und ich habe das Gefühl, Frank-Walter Steinmeier hat uns sehr gut zugehört und ganz viel mitgenommen.“
75 Minuten lang saß die Leiterin des Seniorenheims Haus St. Josef in Wadersloh dem Staatsoberhaupt an einem großen runden Tisch in einem Saal des Schlossgarten Cafés in Münster genau gegenüber – zusammen mit einem Einzelhändler, einer Polizistin und einem Mitarbeiter der Straßenreinigungsdienstes. Vertreterinnen und Vertreter dieser vier Branchen waren von dem Bundespräsidenten eingeladen worden, um mit ihm über ihre Erfahrungen aus der Corona-Krise zu sprechen (siehe Bericht vom 25. September). Kurz zuvor hatte er in Münster schon das Universitätsklinikum besucht.
„Er wollte wissen, wie wir die Herausforderungen bewältigt haben, was wir aus den Erfahrungen für die Zukunft lernen und was bleiben wird“, sagt Astrid Thiele-Jérome. Dabei sei es vor allem um das Thema Wertschätzung gegangen.
„Die Bonuszahlungen an unsere Pflegekräfte wurde sehr wohl als Zeichen der Anerkennung wahrgenommen“, sagt die 55-Jährige. Jedoch sei die Berichterstattung im Fernsehen und in überregionalen Medien vor allem zu Beginn der Epidemie auf das Infektionsgeschehen in den Senioren-Einrichtungen fokussiert gewesen: „Es ging immer darum, was vielleicht falsch gemacht und versäumt worden ist. Aber wenig darum, was da gerade alles an Herausforderungen bewältigt und gut gemacht wird.“ Sie ist überzeugt: „Bei uns im Haus St. Josef haben wir sehr vieles gut und richtig gemacht. Vor allem überwältigt mich, mit wieviel Solidarität und Kreativität wir diese Situation bisher im ganzen Team gemeistert haben.“
Die Mund-Nase-Masken zum Selberbasteln sorgten für Lacher
Natürlich hat sie dem Bundespräsidenten vor allem davon berichtet: wie schwierig es war, im März Handwerker zu bekommen, um die Quarantäne-Station einzurichten; wie man es geschafft habe, in einem Zelt einen Begegnungsbereich mit Trennscheiben für Besucher einzurichten; wie die eigenen Mitarbeiter bis heute die Organisation von Freizeitangeboten übernehmen – und wieviel Verhandlungsgeschick notwendig war, um im Frühjahr einen Lieferanten für Mund-Nasen-Schutze zu finden. „Bei der ersten Lieferung, die wir vom Technischen Hilfswerk bekamen, handelte es sich um Masken zum Selber-Basteln“, erinnert sich Astrid Thiele-Jérome. Als sie das am Dienstagmittag erzählte, habe der Bundespräsident laut gelacht – und mit ihm die Journalisten hinter ihrem Rücken. „Aber das war tatsächlich so: Das Paket beinhaltete 50 Meter Gummiband, Papier und Nasenclips“, weiß sie genau.
Dass es in Deutschland künftig ausreichend Vorräte an solchen Masken geben muss, sei sicher eine der Erkenntnisse, die aus der Corona-Krise blieben. Doch hofft Astrid Thiele-Jérome vor allem, dass man den Pflegekräften dauerhaft mehr Anerkennung entgegenbringt.
Mehr Respekt wünschen sich ebenso die Polizistin, der Einzelhändler und der Mitarbeiter aus der Straßenreinigung, die an dem Gespräch in Münster als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Berufsgruppen teilnahmen. „Der Leiter zweier Supermärkte berichtete sogar von Kunden, die sich gegenseitig die Einkaufswagen wegnahmen oder um Klopapier prügelten. Und die Polizistin ist es leid, von Menschen angepöbelt zu werden, die sie zum Tragen der Maske auffordert“, erfuhr die Heimleiterin aus Wadersloh.
Solche Szenen hätten sich in ihrem Haus nicht abgespielt – „das auch deshalb, weil wir unsere Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörige gut kennen. Und trotzdem gab es sehr viel zu kommunizieren und zu vermitteln.“
„Der Bundespräsident hat gut zugehört und sehr gezielt nachgefragt“
Sie ist überzeugt, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einiges aus dem Gespräch mitnimmt: „Er hat gut zugehört und sehr gezielt nachgefragt. Sein Referent hatte mir schon vorher versprochen: ‚Reden Sie ganz offen mit ihm. Er behält sehr viel und bringt es an der richtigen Stelle wieder an‘.“
Und auch sie wird im Haus St. Josef gerne über diese Begegnung berichten: „Ich habe gespürt, dass er unsere Arbeit wertschätzt. Das gebe ich sehr gerne weiter.“
Nach dem Gespräch brauchte sie aber erst einmal ein bisschen Ruhe. Der Tag sei doch ziemlich aufregend gewesen, gab sie zu – und die halbe Schlaftablette am Abend vorher habe ebenfalls nicht so viel gebracht.