Auf Wahlkampftour macht Staatssekretär Karl-Josef Laumann zusammen mit Henning Rehbaum heute Etappe im Seniorenheim St. Josef – nicht nur um sich zu informieren, sondern um auch selber zu informieren.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Rudi Luster-Haggeney übergibt dieser an Andreas Wedeking, Einrichtungsleiter. Ihm ist es wichtig, das Thema Demenz aus dem Schattendasein in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Verschiedenste Aktionen, wie zum Beispiel ein Pflegekurs für Angehörige; Multiplikatorenschulungen im Rahmen von KIDZELN (Kindern Demenz erklären); Schulungen für Unternehmen und auch für Vereine, die immer häufiger mit an Demenz erkrankten Menschen in Berührung kommen; einen Demenzparcours, an dem man selber als gesunder Mensch anhand verschiedener Hilfsmittel das Leben mit Demenz nachempfinden kann, haben bereits stattgefunden. „In manchen Situationen sind Angehörige bei der Demenz einfach überfordert, und das ist ja auch sehr zu verstehen. Hier ist es gut, wenn es Profis gibt, die einem die oft psychische Belastung der Pflege abnehmen können“, so Andreas Wedeking. Eine sehr gute Teamarbeit, aktive Quartiersarbeit, sowie das gemeinsame Feiern von Festen sind weitere Eckpfeiler der Einrichtung.
Was ist die Aufgabe des Staates und die Entwicklung von Strukturen
Erfahrung aus jahrelanger Arbeit in diesem Metier spiegelt sich aus dem geschichtlichen Abriss von Karl-Josef Laumann, der die Entwicklung der vor 22 Jahren eingeführten Pflegeversicherung aktiv mitgestaltet – jüngst die Einführung des Pflegestärkungsgesetzes II und III im Januar diesen Jahres. Die Frage muss aber lauten: „Wo stehen wir in 10 Jahren? Wer kümmert sich dann verlässlich um die pflegebedürftigen Menschen?
Aktuell sind rund 2,6 Mio. Menschen durch die Umstellung von Pflegestufen auf die Pflegegrade betroffen.
Außerdem stellt sich hier die Frage: „Was genau ist die Aufgabe des Staates?“ Jeder Betroffene bzw. Angehörige muss letzten Endes für sich selber entscheiden (können), was für den alt gewordenen Menschen die richtige Wohn- bzw. Pflegeform ist. Hierbei ist nicht nur die stationäre Pflege in den Fokus zu nehmen. Es gibt dann auch noch die private Pflege, die Tagespflege und die ambulante Pflege. Zwei Drittel der pflegebedürftigen Menschen leben Zuhause. Ein großes Manko hierbei darf allerdings nicht verschwiegen werden: „Diese Menschen sind oft alleine und haben oft außer der ‚minuten getakteten‘ Tagespflege keinerlei Ansprache“, so Laumann. Hinzu komme, dass die mittlere Generation heute berufstätig ist.
Daher ist es die Aufgabe des Staates Strukturen vorzugeben. Die Qual der Wahl bleibt dann aber jedem selber überlassen.
Hintergrund des Pflegestärkungsgesetzes
Seit dem 1. Januar 2017 ist bekanntlich das Pflegestärkungsgesetz in Kraft getreten. Seitdem sind die Zuzahlungsbeiträge für Angehörige stabil, egal in welchem Pflegegrad sich der Bewohner befindet. „Hintergrund dieses Gesetzes ist, dass problemlos eine Anpassung des Pflegegrades vorgenommen werden kann ohne Erhöhung des Eigenanteils. Das befriedet das Verhältnis zwischen dem zu Pflegenden und seinen Angehörigen gegenüber des Pflegeleistungserbringers“, so Laumann. Dies garantiert dem Betroffenen eine zuverlässig gute Pflege. „Hierbei gehe es nicht um das ‚Abschieben‘. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Pflegebedürftige keinen Besuch mehr bekomme“. Es steht hierbei auch nicht die Differenzierung in „gut und böse“ im Vordergrund, sondern die qualitative Pflegeleistung und deren Wertschätzung.
Zahlen, Daten, Fakten
Durch die Beitragserhöhungen der Krankenkassen wurde ein Überschuss von rund 6 Mrd. Euro erzielt. Gut die Hälfte dieses Überschusses fließt in die Pflegeleistungen für Demenzerkrankte.
Durch die Umstellung von z.B. Pflegestufe II in den Pflegegrad IV kommt auf 20 Menschen eine Betreuungskraft zusätzlich.
Durch das Pflegestärkungsgesetz III wird dem Arbeitgeber die Möglichkeit gegeben, tarifgerechte Löhne bei den Pflegesatzverhandlungen refinanziert zu bekommtn. Fakt ist aber auch, dass Mitarbeiter in der Pflege rund 20% weniger verdienen als Mitarbeiter im Krankenhaus. In Niedersachsen beispielsweise hat somit ein Mitarbeiter in der Pflege rund € 500 weniger in der Tasche.
Laumann gibt zu bedenken
„Derzeit werden pro Jahr rund 20.000 mehr Pflegekräfte benötigt. Wo stehen wir hier in 20, 25 Jahren?“ Der gesellschaftliche und praktische Stellenwert sind nicht zu unterschätzen: Ein Pflegesystem muss 365 Tage im Jahr reibungslos funktionieren. Pflegekräfte arbeiten fast jedes 2. Wochenende, d.h. oft 11 Tage in Folge. In den Morgenstunden, von 7 – 10 Uhr werden oft wegen der erhöhten Pflegeverrichtungen Pflegespitzen gefahren. Arbeitnehmer haben oft nur € 450 Euro- oder Flexiverträge, die je nach Belegung angepasst werden können. Dies sind wahrlich nicht immer optimale Voraussetzungen in einem harten Beruf.
Über die Bundesebene wurde ein Verfahren entwickelt, in dem bis Ende 2019 Eckdaten für Pflegeschlüssel evaluiert werden. Unter allen Bundesländern befindet sich NRW im oberen Viertel.
Fakt bleibt jedoch leider, dass die Demenz jetzt und zukünftig zum normalen Erscheinungsbild dazu gehört – aber auch hier gilt es abzuwägen: wütende, ärgerliche, frustrierte und traurige Momente mit den schönen, liebenswerten, witzigen und skurrilen zu akzeptieren.
Diskussionsrunde
Andreas Wedeking berichtete über die trägerübergreifende Zusammenarbeit der Lokalen Allianz in Wadersloh und wünscht sich weiterhin die dauerhafte Förderung. Thomas Wollweber, Arzt in Wadersloh berichtet über die Auswirkungen der Allianzen im Praxisalltag. Er selbst erlebe, dass Angehörige eine echte Entlastung durch die verschiedenen Angebote erleben. Ferner kritisiert er den enormen Dokumentationsaufwand in der stationären Pflege. Dieser ist offensichtlich durch die Umstellung auf das SIS-Modell erleichtert worden, so Astrid Thiele-Jérome, Pflegedienstleitung.
Herr Laumann hatte so viel Zeit mitgebracht, sich auch in problematischen Einzelfällen kundig zu machen und nahm diese als Praxisbeispiele zur weiteren Verbesserung politischer Gesetzesinitiativen mit.
Last – but not least – wünschte sich Karl-Josef Laumann eine Führung durch’s Haus, dem sehr gerne entsprochen wurde.