Auf vielfachen Wunsch der Gottesdienstteilnehmer anlässlich der Seniorenmesse zum 825-jährigem Dorfjubiläum hier nun noch einmal der vollständige Text zum Nachlesen.
Liebe Senioren – oder besser reifere Gemeindemitglieder?, liebe Gemeindemitglieder!
Bei der Vorbereitung zu diesem Gottesdienst haben fünf Menschen zusammen gesessen und überlegt: Was könnte in einen Gottesdienst für Senioren passen? Bei den Liedern war es noch recht einfach. Die liturgischen Texte waren vorgegeben. Und auch bei den Fürbitten war es noch einfach. Beim Finden nachdenklicher Texte wurde es dann so schwierig, dass wir uns vertagen mussten. Denn – wer berichtet schon gerne über das Älterwerden?
Warum eigentlich?
Säugling ist man 12 Monate.
Kleinkind drei Jahre.
Kind 5 Jahre.
Teenie 4 Jahre
Junger Erwachsener 3 Jahre
Erwachsener 39 Jahre.
Die Lebensphase ‚Senior‘ beginnt immerhin mit 60. Und eine Zeitspanne von 25 bis 40 Jahren in diesem Lebensabschnitt ist bei der heutigen Lebenserwartung nicht mehr selten.
Im Internet fand ich folgende Erklärung einer Künstlerin:
Wie ist es alt zu sein?
Kürzlich fragte mich eine junge Frau, wie man sich denn als alter Mensch fühle. Ich war schockiert, denn ich halte mich überhaupt nicht für alt. Als sie meine Reaktion bemerkte, wurde sie verlegen, aber ich sagte ihr, dass das eine sehr interessante Frage sei, über die ich erst nachdenken müsse. Ich würde sie später beantworten.
Alter – zu dem Schluss kam ich dann – ist ein Geschenk! Ich bin heute möglicherweise zum ersten Mal in meinem Leben der Mensch, der ich immer sein wollte.
Oh, nicht mein Körper! Manchmal verzweifle ich an meinem Körper – die Cellulitis, die Falten, die Tränensäcke, der Quabbelbauch, die schmerzenden Knochen, … – und oft bin ich geschockt von der alten Dame, die da in meinem Spiegel wohnt. Aber mit diesen Gedanken quäle ich mich nicht lange herum.
Niemals würde ich meine wunderbaren Freunde, mein herrliches Leben, meine liebevolle Familie hergeben für weniger graue Haare und einen straffen Bauch!
Mit dem Alter wurde ich netter zu mir selbst und weniger kritisch. Ich wurde meine eigene Freundin. Ich beschimpfte mich nicht mehr, weil ich ein Stück Kuchen zu viel gegessen, mein Bett nicht gemacht oder jene kleine, süße Skulptur gekauft habe, die doch gar nicht nötig gewesen wäre, aber so avantgardistisch in meiner Diele wirkt.
Ich habe das Recht, mich zu über(fr)essen, unordentlich, extravagant zu sein! Ich habe so viele liebe Freunde gesehen, die diese Welt zu früh verlassen mussten, ohne je diese große Freiheit kennen gelernt zu haben, die das Alter mit sich bringt. Wen geht es etwas an, wenn es mir einfällt, bis 4 Uhr morgens zu lesen und dann bis mittags zu schlafen? Ich möchte mit mir selbst tanzen zu diesen wunderbaren Schlagern der 50er und 60er Jahre. Und wenn ich dabei über verlorene Lieben weinen möchte, dann kann ich es auch tun!
Ich weiß, … – ich bin manchmal ein bisschen vergesslich, aber auch hier denke ich, dass Manches zu recht dem Vergessen anheim fällt und ich vielleicht nur die wichtigen Dinge behalten habe.
Gewiss – im Laufe der Jahre wurde mir das Herz mehrfach gebrochen. Wie kann dein Herz nicht gebrochen werden, wenn du einen geliebten Menschen verlierst, wenn ein Kind leidet oder dein geliebtes Haustier überfahren wird? Aber gebrochene Herzen geben uns Kraft, Verständnis und Mitgefühl. Ein niemals gebrochenes Herz ist kalt und steril und wird nie wissen, wie schön es ist, unvollkommen zu sein.
Ich empfinde es als Gnade, dass ich lange genug leben durfte, um mein Haar ergrauen zu sehen, und dass das Lachen meiner Jugend tief in die Runzeln meines Gesichts eingegraben ist. So viele haben nie gelacht und so viele starben, bevor ihr Haar silbern werden konnte.
Ich kann „nein“ sagen und es auch so meinen – ich kann „ja“ sagen und es auch so meinen.
Je älter ich werde, desto positiver denke ich. Du kümmerst dich weniger um das, was die Leute denken. Ich stelle mich selbst nicht mehr in Frage. Ich nehme mir sogar das Recht, mich zu irren.
Also – um deine Frage zu beantworten: „Ich bin gerne alt.“
Es hat mich befreit.
Ich mag den Menschen, der ich geworden bin.
Ich werde nicht ewig leben, aber so lange ich noch hier bin, werde ich keine Zeit verlieren mit Lamentieren über das, was hätte sein können, oder mir Sorgen um die Zukunft zu machen.
Erstmals im Leben brauche ich mich nicht mehr zu rechtfertigen für das, was ich tun möchte.
Und ich werde jeden Tag ein Dessert essen!